Wie das C.Virus die Schule verändert hat – Kommentar von G. Sutterlüty

Gastkommentar in der Presse (20.07)
Wie das Coronavirus auch die Schule verändert hat
von Georg Sutterlüty

 

Covid-19 hat etwas in Bewegung gebracht. Vielleicht ist die Zeit reif für neue Methoden und das Aufbrechen starrer Strukturen.

 

Herr Unterrichtsminister, wer hätte gedacht, dass das Schuljahr 2019/2020 so zu Ende gehen würde? Ich hätte noch im April gewettet, dass wir die Schule erst im September betreten würden, mit Ausnahme der Maturierenden. Doch der Druck wurde größer – vonseiten der Gesellschaft und der Wirtschaft. Die Virologen hätten lieber zugewartet, ich hatte den Eindruck, auch die politischen Entscheidungsträger. Doch Schule ist stark verankert in unserem Berufs- und Alltagsleben, weshalb eine längere Unterbrechung für unsere Gesellschaft recht schnell eine Herausforderung darstellt – vor allem für Alleinerziehende.

 

Das Bild der Schule hat sich gewandelt. Ursprünglich galt sie als ein Ort der Bildung und der intellektuellen Weiterentwicklung. Heute ist die Zielsetzung etwas bescheidener: Kinder sind da tagsüber gut versorgt, während die Eltern arbeiten müssen; und Jugendliche werden hier etwas abgelenkt von den vielen Zerstreuungen der digitalen Welt. Die Coronazeit hat klar vor Augen geführt: Eine Lehrerin oder ein Lehrer sind nur noch bedingt Wissens- oder Kompetenzvermittler, sie sind vor allem Pädagogen und Aufpasser. Sie sitzen genauso wie ihre Schülerinnen und Schüler die Zeit an einem Ort ab, damit die Arbeits- und Produktionswelt ihrem Zweck uneingeschränkt nachgehen kann.

 

Vorteile des Home-Schooling
Na ja, ein wenig übertreibe ich jetzt, Herr Unterrichtsminister. An den Schulen werden schon noch Kompetenzen gelehrt – und es gibt sie noch, die engagierten Lehrerinnen und Lehrer. Wir wurden über die Zeit des Lockdown sehr gelobt, fast würde ich sagen: rehabilitiert. Erziehungsberechtigte mussten zu Hause in die Rolle der Pädagogen schlüpfen. Und was mussten sie feststellen: Kinder sitzen nicht gerne vier Stunden still, sie tun sich schwer, über einen längeren Zeitraum konzentriert an einer Sache zu arbeiten. Und oft dauert es eine Zeit, bis ein Gedankengang aufgenommen wird. Da braucht man Geduld, dann muss man wieder aufs WC, und der Hunger meldet sich auch regelmäßig. Diese lästigen Unterbrechungen. Und stell dir vor, wie muss es da erst zugehen in einer Klasse mit 24 Kindern? Dann doch lieber einen Bürojob!

 

Eltern hoffen, dass das Online-Schooling jetzt endlich ausgedient hat, im September muss Normalität einkehren. Für manche Lehrende waren die vergangenen Monate jedoch eine Erholung. Kein Gähnen der Schüler, keine Disziplinierung, kein Jammern. Wurden die Aufgaben einmal versendet, konnte man gemütlich einen Kaffee genießen oder einen kleinen Spaziergang unternehmen, während die Schüler in den Wohnzimmern tüfteln durften. Aber auch einige meiner Schüler waren sehr angetan vom Home-Schooling. Man brauchte nicht um halb sieben in der Früh aufzustehen und konnte sich die Zeit frei einteilen.

 

Einige Schüler meinten, sie könnten sich gut eine Schule vorstellen, die mehr Freiheiten zulässt. Anwesenheit ja, aber genauso freies Arbeiten – wann man will und wo man will. Längst wird dies ja von den Bildungsexperten empfohlen. Der erste Schritt dafür wäre das Aufbrechen des starren Stundenplansystems. Die genau getaktete 50-Minuten-Einheit – ein Relikt des durch die Industrialisierung geprägten 19. Jahrhunderts – ist heute nicht mehr zeitgemäß.

 

Herr Unterrichtsminister, ich muss Ihnen beichten, ich war im Gegensatz zu vielen meiner Kolleginnen und Kollegen, die stundenweise vor dem Computer saßen, in den vergangenen Monaten nicht sehr fleißig. Alle meine Sportstunden sind entfallen. Ich habe sehr wohl Übungen und Bewegungsaufgaben zusammengestellt, aber ich konnte nicht kontrollieren, ob meine Schüler sie auch ausführten.

 

Bewegen, ohne zu schwitzen
Ein Sportlehrerkollege hatte Beweisvideos eingefordert, da bekam er gleich einen Rüffel von der Schulleitung, das verletze die Privatsphäre. Sie hätten mich in Kurzarbeit schicken sollen. Im Juni, als die Schulpforten wieder öffneten, hieß es zuerst, man könne Bewegungseinheiten durchführen, aber die Schüler dürften dabei nicht schwitzen. Darüber konnten wir nur lächeln. Im Juni ist praktisch jede Bewegung zum Schwitzen verdammt, schon das reine Sitzen im Klassenzimmer, wenn die Temperaturen hochklettern. Und danach gaben Sie den Sportunterricht für die letzten drei Wochen wieder frei: Allerdings an den Rand gedrängt und es bedurfte des freiwilligen Zuspruchs. Da war kein Schüler mehr motiviert, extra länger in der Schule zu bleiben.

 

So musste ich die ganze Zeit in der Aula Aufsicht halten – teilweise sechs Stunden am Tag. Das hatte die Schulleitung für Bewegungserzieher so vorgesehen. Wir stolzierten wie Sicherheitsbeamte herum und forderten Schüler auf, den Sicherheitsabstand zu wahren. „Das können nur die Besten machen“, munterten wir uns gegenseitig auf. In Wahrheit: Wir sehnten uns nach unseren Sportstunden.

 

Coronabedingte Noten
Heuer ist alles anders, Herr Unterrichtsminister. Zuletzt hielten wir die Notenkonferenz ab. Wir stimmten bei Schülern mit zwei Nicht genügend und einigen Genügend ab, ob sie ohne Wiederholungsprüfung aufsteigen können. Das war schon seltsam. Gemeinhin: Die Noten sind heuer besser als in den vergangenen Jahren. Oft wird von den Klassenlehrern angeführt: coronabedingt. Die beste Klasse glänzt mit einem Notendurchschnitt von 1,7. Die Frage, die sich vielen Pädagogen aufdrängt, ist: Wie muss mit den Defiziten, die sich heuer in den Noten nicht richtig widerspiegeln, im nächsten Jahr umgegangen werden? Das wird spannend und zugleich eine Herausforderung.

 

Die meisten glauben, im nächsten Schuljahr würden einige Schülerinnen und Schüler ordentlich auf Granit beißen. Sie würden sich zum einen schwertun, dem Stoff zu folgen, während sie noch an den schulischen Defiziten zu knabbern hätten. Schließlich erwarte sie am Ende ihrer Karriere eine Zentralmatura, die auf schulische Rückstände wohl wenig Rücksicht nehmen werde.

 

Wir hoffen, genauso wie Sie, Herr Unterrichtsminister, dass wir im September wieder normale Verhältnisse vorfinden werden. Wir wollen am Rad weiterdrehen, wie wir es bis zum gesellschaftlichen Lockdown getan haben.

 

Zeit reif für neue Sichtweisen
Aber ein Gefühl sagt mir, das Coronavirus hat etwas in Bewegung gebracht. Es wird nicht mehr so sein, wie es einmal war. Vielleicht ist die Zeit reif für neue Methoden, didaktische Ansätze oder generell für das Aufbrechen starrer Strukturen. Vielleicht werden es nur kleine Dinge sein, die sich plötzlich verselbstständigen und danach neue Sichtweisen auf die schulischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ermöglichen und diese verständlicher erscheinen lassen.
Es könnte eine Zäsur geben, aber das ist Zukunftsmusik. Bleiben wir bescheiden und hoffen wir, der Sommer bringt uns Erholung und das Virus bestimmt unseren Alltag immer weniger. Freuen wir uns also auf den Herbst. Es wird spannend bleiben!

 

Der Autor
Dr. Georg Sutterlüty (geb. 1974) lehrt an der HTL Dornbirn Bewegung und Sport, Geschichte sowie Ethik. Er ist Obmann des Kulturvereins Bahnhof in Andelsbuch sowie freier Historiker und Publizist (veröffentlichte in der „Furche“ und „NZZ Folio“). Herausgeber des „Bregenzerwald Lesebuchs. Einblicke in die Talschaft an der Ach“.

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