75 Jahre Kriegsende in Egg – Auszug aus „Festung Vorarlberg“

Liebe Egg-Newser,

 

in den Medien liest man derzeit viel zum Thema „75 Jahre Kriegsende“, aber eigentlich weiß niemand so recht, wie ist das bei uns abgelaufen ist. Georg Sutterlüty hat uns auf eine Arbeit von Georg Schelling aufmerksam gemacht und diesen Text für uns etwas gekürzt. Georg Schelling war ein Geistlicher und Journalist, der selbst 6 Jahre im KZ Dachau verbrachte und gleich nach Kriegsende begonnen hat zu recherchieren, wie das Kriegsende in Vorarlberg abgelaufen ist.

 

Kriegsende in Egg, aus: Festung Vorarlberg, 3. Aufl., Bregenz 1987, S. 227-230

Über Egg, Andelsbuch und Schwarzenberg ging der Krieg ohne Verwüstung dahin. Auch hier war unverdrossen und zäh daran gearbeitet worden, daß es nicht zu Kriegshandlungen komme.

 

Parteiführer aus Bregenz und Dornbirn hätten zwar auch die Verwüstung des Bregenzerwaldes riskiert, wie aus einem Bericht des Orstgruppenleiters Sommer von Egg hervorgeht. Danach wurde bei einer Besprechung in Egg über die Einteilung der Verteidigung im Mittelbregenzerwald den Herren aus Bregenz (Kreisamtsleiter Gebhardt, Landrat Didlaukies) und Dornbirn (Kreisamtsleiter Reiter, Standartenführer Kölbl) die Frage vorgelegt, was mit der einheimischen Zivilbevölkerung, besonders mit den Kindern, und was mit den hunderten evakuierten Flüchtlingen geschehen soll, die in den vergangenen Wochen die Gemeinden übernehmen mußten, und ferner, wie nach dem Kriege die Bevölkerung ohne Wohnungen und ohne Viehstand weiterwirtschaften könne. Die Vertreter der Gemeinden erhielten (nach Sommer) zur Antwort, daß es auf ein paar tausend Frauen und Kinder auch nicht mehr ankomme. Landrad Didlaukies schloß sich diesem barbarischen Bescheid nicht an.

 

Ewald Sommer in Egg, aus dem Altreich stammend, war einer der wenigen Ortsgruppenleiter des Landes, die in den Tagen der Gefahr entschieden zum Volk und nicht zur Partei standen. Wie man in Egg allgemein hört, dachte und handelte er sozial, im übrigen war er bis nahe an das Ende des Dritten Reiches eben ein Nazi. Mit Bürgermeister Felder arbeitete Sommer Hand in Hand, um die ankommenden Truppenteile daran zu hindern, daß sie sich in Egg festsetzten. Dabei mußte oft auf das gefährliche Mittel von fingierten Marschbefehlen gegriffen werden. Auf diese Weise wurde z. B. eine HJ-Gruppe, die sich zur Verteidigung der Subersachbrücke in Großdorf-Heckisau eingerichtet hatte, aus den Stellungen gelotst und dann durch Verhandeln dazu gebracht, die Waffen niederzulegen und das Gemeindegebiet mit dem Ziel Oberstdorf zu verlassen.

 

Viel zu schaffen machte eine Kampftruppe „Freikorps Adolf Hitler“. Über die Abschaffung dieser höchst unerwünschten Gesellschaft berichtet Ortsgruppenleiter Sommer u. a.: Diese Gruppe, etwa 50 Männer und einige Frauen, ist in Kraftwagen, Omnibussen, Krafträdern in Egg aufgetaucht und hat sich eigenmächtig im Gemeindeamt einquartiert. Sie besaß einen regelmäßigen Verbindungsdienst mit Autos und Motorrädern zu gleichartigen „Unternehmungen“ und war an Waffen und Verpflegung aufs beste ausgerüstet. Da diese Gruppe durch Überreden nicht fortzubringen war, erklärte Sommer dem Führer der Abteilung, daß sich diese sofort bei der Kreisleitung in Dornbirn zu stellen habe. Unter Zurücklassung eines Verbindungskommandos leistete der Verband dem Auftrag Folge. Da er über einen eigenen Meldedienst verfügte, war in diesem Falle die Irreführung kein geringes Wagnis. Um Mitternacht setzte sich die Kampfgruppe nach Dornbirn ab. Bereits um 2 Uhr wurde Sommer von der Kreisleitung Dornbirn angerufen und zur Rede gestellt. Der Ortsgruppenleiter gab vor, von irgendwoher den Absetzungsbefehl zur Weiterleitung erhalten zu haben. Nach längerem Hin und Her erhielt er selber den Befehl, sich mit der Familie diesem Freikorps anzuschließen. Sommer widersetzte sich mit der entschiedenen Erklärung, daß er nicht daran denke, die ihm anvertraute Ortsgruppe zu verlassen; er trage die Verantwortung gerade jetzt erst recht und bleibe auf seinem Posten bis zuletzt. Der Vorfall muß sich in der Nacht vom 1. auf 2. Mai ereignet haben, da Sommer berichtete, er verdanke nur dem Umstand die Rettung, daß die Kreisleitung Dornbirn anderes zu tun hatte, denn es ging schon der Gerücht herum, die Vorausabteilungen der Franzosen seien nach Alberschwende vorgestoßen. Die Unterbringung des Freikorps macht dem Bürgermeister große Schwierigkeiten.

 

Soweit nach dem Bericht des Ortsgruppenleiters Sommer. Als Zeugen des ganzen Geschehens führte er den Gemeindesekretär von Egg an. Die genannte Kampftruppe war wohl ein Splitter des „Freikorps Adolf Hitler“, das sich laut Marschbefehl in Bludenz sammeln sollte. […] Die meisten dieser Soldaten stammten aus Württemberg. […]
Noch am 2. Mai setzte sich in Egg eine wilde SS-Kampftruppe fest, um die Ortseingänge, besonders die Straße bei der neuen Betonbrücke nächst dem Kraftwerk zu besetzen. Der Kommandant dieser Gruppe war ein Sturmführer, der äußerst kampfentschlossen war, obwohl er schon eine Hand im Kriege verloren hatte. Er wollte es einfach nicht einsehen, daß ausgerechnet im Bregenzerwald nichts geschehen solle, während andere Gegenden verwüstet und Leute wie er körperlich ruiniert wurden. Am 3. Mai hat Sommer (nach seinen Angaben) während einer kurzen Abwesenheit des Sturmführers den Hauptposten an der Brücke beredet, in den Wagen einzusteigen und vorläufig nach Schwarzenberg zu fahren. Die übrigen SS-Leute folgten von selbst und dann stand der Untersturmführer allein da.
Viele Sorgen bereiteten auch in Egg die geladenen Brücken. Auf der Tuppenbrücke lagen zwei Bomben zu 250 kg und 1000 kg Sprengmunition, auf der Fluhbrücke wurde durch Standschützen die Sprengladung entschärft. Sommer und Felder wurden zur Verantwortung gezogen und die Standschützenwache durch Pioniersoldaten abgelöst. Drei von diesen Soldaten gewann Felder, mit ihm die Brücken endgültig zu entladen. In der Nacht vom 1. auf 2. Mai wurde das Vorhaben glücklich ausgeführt. Die Bomben und die ganze Sprengmunition wurden ins Wasser geworfen. Bei der Fluhbrücke setzten sie das Werk fort. Sodann wurden die drei Soldaten mit Zivilkleidern ausgestattet und vorerst versteckt. […]

 

Die Mitteilungen von Ortsgruppenleiter Sommer seien deshalb hier festgehalten, weil sie ein Bild vom Chaos des Rückzuges vermitteln. Als Parteifunktionär hatte Sommer Kenntnis über die militärischen Formationen und konnte auch eher an sie herankommen. In vielen Orten des Landes, aus denen keine eingehenden Berichte vorliegen, mag das militärische Durcheinander noch größer gewesen sein. Egg wurde am 5. Mai besetzt und erhielt vorübergehend eine tausend Mann starke Besatzungstruppe. In Egg war auch das Kommando für den ganzen Bregenzerwald. Das Waffenlager in der Schotterbreche wurde vom Bürgermeister dem Besatzungskommando übergeben. Ortsgruppenleiter Sommer war nur kurze Zeit in Haft und mußte dann in seine reichsdeutsche Heimat zurück.

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