„Ein Virus im Dorf“ – Hansore Sutterlüty berichtet … (Bericht #15)
„Ein Virus hat unser aller Leben verändert. Die Maßnahmen, die zur Eindämmung der Ausbreitung getroffen wurden, bestimmen nun unseren Alltag. Jede Person macht ihre eigenen Erfahrungen – Erfahrungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
In Zusammenarbeit mit Georg Sutterlüty haben wir ein Projekt gestartet. Wir wollen wissen, wie Eggerinnen und Egger (sowie einzelne BregenzerwälderInnen umliegender Gemeinden) mit der Krise umgehen: Was hat sich in ihrem Leben verändert, welche Herausforderungen gibt es und was erhoffen sie sich nach Beendigung dieser schwierigen Phase? Wir haben ganz kunterbunt nach Personen gesucht, die bereit sind, ihre persönliche Geschichte zu schildern. Wir beginnen mit dem ersten Bericht und wollen jeden zweiten Tag den nächsten veröffentlichen.
Bereits veröffentliche Berichte werden von uns ins Archiv verschoben, sind aber weiterhin hier für euch verlinkt:
Bericht 14: Stefan Hagen (42), Unternehmensberater, Lingenau
Bericht 13: Yvonne Waldner (23) Studentin für Translationswissenschaft in Ibk, Gebatz
Bericht 12: Ulli Troy (67), AHS-Lehrer in Pension und Musiker, Rain
Bericht 11: Norbert Mayer (62), VS-Lehrer und Literat, Großdorf
Bericht 10: Carmen Willi, Leiterin VS Egg, Hof
Bericht 9: Hugo Waldner (72), Bauer und Alt-Vizebürgermeister, Freien
Bericht 8: Magdalena Vögel (36), Personalentwicklerin und Mama, Schwarzenberg
Bericht 7: Samuel Schwärzler (27), und Vize-Obmann des FC Egg, Rain
Bericht 6: Friedl Kaufmann, Pfarrer von Egg und Großdorf
Bericht 5: Jürgen Zengerle (29), Krankenpfleger in KH Dornbirn, Hof
Bericht 4: Lisa Schmidinger (28 Jahre), Krankenpflegerin, Wohnort Schmarütte
Bericht 3: Wilhelm Sutterlüty (63), Geschäftsführer Sozialzentrum Egg, Schmarütte
Bericht 2: Marcel Simma , Schüler der HTL Dornbirn, Stadel
Bericht 1: Brigitte Bereuter (40), Gemeindeangestellte, Mutter und Hausfrau, Rain
Kommentare sind erwünscht, doch bitten wir aus Rücksicht auf die Autoren, den vollen Namen sowie den Weiler, in dem ihr wohnt, anzugeben.“
Bericht #14 – Hansore Sutterüty – Ein Virus in der Stadt
Ich lebe seit einem halben Jahr mit meiner Familie in Mexico City. Das ist kein Dorf, sondern eine Stadt mit über 20 Millionen Einwohnern. Da geht einiges drunter und drüber. Am Morgen um sechs, wenn ich aufstehe, kann ich seit kurzem die Zeit besonders genießen: Kein Straßenlärm, keine Autos oder Motorräder, kein Flugverkehr und keine Sirenen von Einsatzfahrzeugen. Ich höre Vogelgezwitscher in allen Variationen. Da sitze ich gerne und lerne meine Spanisch-Vokabeln.
Neuerlich höre ich auch meine Nachbarn, das war früher nicht so. Da bellte ständig der Hund, praktisch jedes Haus hält einen Hund. Doch jetzt sind sie zu Hause und der Hund ist ruhig. Das finde ich sehr angenehm. Dann gehe ich hoch aufs Dach, um zu schauen, ob meine Pflanzen über Nacht gewachsen sind. Da könnte ich mich stundenweise versäumen, jetzt wo es so ruhig ist.
Um zehn wird gefrühstückt. Meistens um die Zeit kommt das Müllauto ums Eck, dann hört man die Leute auf die Straße rennen, um den Müll abzugeben. Nur momentan sind es nur noch wenige, die ihren Müll loswerden wollen. Manche von den Leuten tragen eine Maske, aber die meisten nicht. Man merkt schon, dass etwas anders ist.
Apropos Straße: Ich und meine Familie gehen schon seit einem Monat nicht mehr vor die Tür, wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Als wir gehört haben, wie die Sache so in Europa läuft, haben wir uns entschieden, es so zu machen wie in Europa. Wenn das alle hier so machen würden, dann wären die Straßen hier auch leer. Aber das sind sie nicht. Untertags rollt der Verkehr wie normal, als gäbe es keinen Virus. Auch Fußgänger sind viele zu sehen, manche sind alleine unterwegs, manche in Gruppen ohne Abstand. Die einen tragen Masken, die anderen nicht.
Um zwölf gehe ich erneut aufs Dach, um das Wasser, das mit einer selbst gemachten Solarzelle aufgeheizt wird, aufzudrehen. Wir hatten vorher das Wasser mit Gas beheizt, doch ist es gut möglich, dass das Gas aufgrund der Corona-Krise knapp werden könnte. So haben wir immer Warmwasser. Ich möchte damit kurz erklären, in der Stadt gibt es viele hausierende Händler, die alles Mögliche anbieten: Wasser, Gas, Essen etc. Zum Beispiel ein Mann fährt auf einem Fahrrad und hat hinter dem Sattel einen Schleifstein, mit dem er die Messer schleifen kann. Wir glauben, dass diese Händler bald nicht mehr auftauchen werden, das heißt dann, wenn die Regierung die höchste Alarmstufe erklärt. Hier in Mexiko gibt es ein Notfallsystem mit drei Stufen. Die dritte Stufe würde bedeuten, dass alle ihr Haus nicht verlassen sollten.
Aber ich weiß nicht, ob sich die Leute daran halten würden. Denn viele müssten auf ihre Arbeitsstelle verzichten und hier bedeutet keine Arbeit, auch keinen Lohn. Da springt kein Staat ein wie in Österreich, man ist hier auf sich allein gestellt. Laut den Medien geht es noch eine Woche, bis die Phase 3 ernannt wird. Gestern Abend habe ich in der Zeitung gelesen, bis zum jetzigen Zeitpunkt sind 450 Mexikaner dem Virus zum Opfer gefallen.
Momentan sind alle Schulen in der Stadt geschlossen. Meine Schwägerin lehrt an einer städtischen Hochschule. Sie meint, Anfang Mai soll wieder unterrichtet werden. Aber ob es wirklich so kommen wird, das glaubt sie nicht. Sollten die Schulen wieder aufsperren, würden ihrer Meinung nach die Schüler den Unterricht schwänzen. Letztlich ging ich in den Walmart zum Einkaufen. Der Walmart ist so groß wie das Metro in Dornbirn. Beim Eingang gab es Kontrolleure, die schauten, dass nur eine Person pro Familie das Geschäft betreten konnte. Das kam mir sehr sympathisch rüber. Mir fiel auf, dass Regale mit Nudeln, Bohnen und vor allem Tomatenmark leergeräumt waren – sozusagen Hamsterkäufe vom Vortag. Doch zwischen den Regalen häuften sich die Leute, es herrschte Gedränge. Ich habe meine Einkäufe so schnell wie möglich in den Einkaufswagen geschlichtet und bin zur Kassa. Dort war der Boden versehen mit Abstandsmarkierungen, doch an diese hielten sich nur die wenigsten. Ich und meine Familie wissen noch nicht, wie es hier in zwei oder drei Monaten ausschauen wird. Es könnte alles wieder vorbei sein und so laufen wie vorher. Das wäre natürlich unser größter Wunsch, aber vielleicht kann es auch sein, dass dann erst der Höhepunkt der Pandemie erreicht ist. Niemand kann jetzt schon voraussagen, wie es in einem Jahr hier aussehen wird. Wir sind optimistisch und hoffen das Beste.
Hansore Sutterlüty (41), Mexico City
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Corona - ein Virus im Dorf
Ich würde den Virus gar nicht genießen und ihn nehmen als das was er ist. Als Vorwand für die Dinge die parallel dazu ablaufen. Saludos y todo lo mejor.
@Que, du hast auf der einen Seite recht, aber auf der anderen Seite ist dieser Virus mit Vorsicht zu genießen!
No hay virus peligroso. Solo políticos corruptos.