Sylvester Ratz – CAPO – „solange ich denken kann“ – Bericht im Magazin REOSÔ – Das Bregenzerwald- magazin
Toller Bericht, den uns Christina Blank vom Magazin REOSÔ dankenswerterweise übermittelt hat.
REOSÔ – Das Bregenzerwaldmagazin: mit spannenden Stories und Interviews aus dem Bregenzerwald, Dekotipps, einer DIY-Anleitung, tollen Buchtipps, Yoga Übungen für Zuhause und einem leckeren Kekse-Rezept für den 1. Advent! Das Magazin ist u.a. bei Skribo Behmann und im rar SCHÖNES in Bezau erhältlich.
Anmerkung von egg-news: Übrigens, auch wenn CAPO nicht mehr direkt in Egg ansässig ist … CAPO ist immer noch sehr aktiv, zuletzten konnten sie mit Masken tolle Erfolge erzielen. Zudem wurde vor ca. 3 Monaten der neue CAPO Onlineshop gelauncht – ab sofort kann auch nach Österreich geliefert werden.
Link zum Online-Shop: www.caposhop.com
Links zu den neuen Videos:
Mützen >> https://www.youtube.com/watch?v=iUw5Z1mHnj8
Masken >> https://www.youtube.com/watch?v=XD7BS-cRyOM
Sylvester Ratz
…solange ich denken kann
Zum Bericht als pdf-File: Klick hier!
Sylvester Ratz war Angestellter der bekannten Egger Hutfabrik CAPO im Bregenzerwald und über 40 Jahre im Verkauf tätig. Er erzählt uns über die Infrastruktur und die wirtschaftliche Entwicklung am Anfang des vorigen Jahrhunderts.
Früher war der Bregenzerwald nur durch Saumpfade erreichbar. Die Menschen lebten bescheiden von einer kleinen Landwirtschaft und der Heimarbeit als Handsticker für vorwiegend Schweizer Betriebe. Um die Jahrhundertwende kam es durch mutige Unternehmer zu einschneidenden Veränderungen. Neue Verkehrsverbindungen wie Straßen und Brücken für den Personen- und den Warenverkehr wurden gebaut. Die Eröffnung der Bregenzerwaldbahn 1902 ermöglichte die Anbindung an das internationale Schienennetz und war für die Region sowohl wirtschaftlich als auch touristisch von großer Bedeutung. Es kam zum Bau eines eigenen Elektrizitätswerkes und zur Eröffnung einer Spar- und Vorschusskasse. Große Schwierigkeiten im Welthandel sowie Neuerungen bei der Entwicklung von Stickmaschinen führten Anfang des 20. Jahrhunderts zu einem völligen Zusammenbruch der Heimarbeit im Bregenzerwald.
Ein Pionier der Egger Wirtschaft der damaligen Zeit, Kaspar Kohler (dr Klörlar, 1858-1946), Gastwirt zur „Frohen Aussicht“ schreibt in seiner Biographie: „Jeden Wälder, der in die Zukunft schaut, muss die Entwicklung mit Sorge erfüllen. Ein Erwerbsersatz zur verloren gegangenen Stickerei muss gefunden werden.“ Kaspar Kohler erzählt weiter: “Im Juni 1911 wurde mir bei einem geschäftlichen Besuch in Bregenz zufällig erzählt, dass sich ein Fabrikant aus dem bayrischen Allgäu mit dem Gedanken trage, eine Strohhutfabrik in Bregenz zu bauen. Ich erfuhr seine Adresse und setzte mich sofort mit ihm in Verbindung. Es kam zu Gegenbesuchen von ihm in Egg und mir in Scheidegg. So konnte ich die Produktion von Hüten kennen lernen. Nach der Erstellung eines Vertragsentwurfes wurde ein vorbereitendes Komitee gegründet und ein Gesellschaftervertrag ausgearbeitet. Mit Vertrauensleuten aus dem Vorder- und Mittelwald konnte eine Zeichnungsliste erstellt werden. Mit 150 Tausend Kronen als Stammkapital wurde zu einer Gründungsversammlung auf den 25. März 1912 im Gasthof Ochsen eingeladen. Die Erste Vorarlberger Strohhutfabrik war damit beschlossene Sache. Schon im gleichen Sommer wurde mit dem Bau der Hutfabrik begonnen und in kürzester Zeit fertiggestellt.“
Bis zum ersten Weltkrieg 1914 stieg die Anzahl der Beschäftigten, einschließlich der Heimarbeiterinnen auf über 80 Mitarbeiter. Die Wirren des ersten Weltkrieges 1914-1918 brachten auch in der jungen Hutfabrik große Umstellungen. Nach dem verlorenen Krieg wurde von der Devisenzentrale in Wien keine Bewilligung zur Einfuhr von Stroh-Litzen aus Italien erteilt. Nach deutschem Vorbild wurde auf die Fabrikation von Hüten aus Papier-Litzen umgestellt. Der Zerfall der Monarchie brachte für die Firma große Verluste. Aufgrund der politischen Umbrüche kam es vielfach zu Unregelmäßigkeiten. Gelieferte Ware wurde nicht bezahlt und bereits erteilte Aufträge wieder storniert. Trotzdem ging das Geschäft in der Nachkriegszeit bis zur Entwertung der Krone noch verhältnismäßig gut. 1930 wurde die GmbH in eine OHG umgewandelt. Kaspar Kohler schied aus. Unter der neuen Führung und durch die Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren musste der Betrieb aufgegeben und 1937 stillgelegt werden. Im März 1938 wurde Österreich zur Ostmark. 1939 kauften die Brüder August und Ewald Sommer, Besitzer einer Hutfabrik in Schorndorf bei Stuttgart, den stillgelegten Betrieb in Egg. Nach Beginn des Krieges im selben Jahr wurde die Hutproduktion auf ein Mindestmaß reduziert. Die Männer mussten in den Krieg und die Frauen mussten alleine daheim die Landwirtschaft führen. 1942 wurde Ewald Sommer alleiniger Eigentümer der Hutfabrik in Egg.
Nach Kriegsende im Mai 1945 wurde die Hutfabrik als deutsches Eigentum stillgelegt und vorübergehend ein Verwalter eingesetzt. Bereits zu Jahresende konnte Ewald Sommer wieder auf sein Stammpersonal zurückgreifen und mit der Aufarbeitung der noch vorhandenen Rohmaterialien beginnen. Weil dieses aber zu Ende ging, wurden von den Modistinnen alte Filzhüte bezogen, neu modelliert und garniert. In dieser Zeit war das Umarbeiten von alten Filzhüten auf neue Formen und Garnituren ein wesentlicher Wirtschaftszweig. Für die Bearbeitung von Filzmaterial benötigte man Wasserdampf. Kohle war nicht zu bekommen. Deshalb wurden die Mitarbeiter, mit Ausnahme des weiblichen Lehrlings, in das Hochmoor Fohren, im Gebiet Schetteregg geschickt, um Torf zu stechen und zu trocknen. Mit Torf als Heizmaterial konnte im Winter wieder gearbeitet werden. 1956 wurde die Erste Vorarlberger Strohhutfabrik umgewandelt in „Hutfabrik Ewald Sommer“.
Produziert wurden genähte Strohhüte, sogenannte Heu- und Girardihüte, aber auch modische Hüte für Damen und Herren aus verschiedenen Strohgeflechten. Ebenso begann die Fabrik mit der Fertigung von Damen- und Herrenhüten aus Woll- und Haarfilzstumpen. Bis 1970 kam es zu einem Anstieg auf rund 100 Beschäftigte. Die Egger Hutfabrik stieg zum größten Filz- und Strohhuterzeuger Österreichs auf und produzierte rund 300.000 Hüte und Kopfbedeckungen jährlich. 1971 übernahm der Sohn von Ewald Sommer, Joachim (Jo) Sommer die Geschäftsführung. Er heiratete eine junge und sehr engagierte Wienerin, die ebenfalls aus der einschlägigen Branche kam. Hanni Sommer-Höfner übernahm die Entwicklung der Kollektionen. Das junge Unternehmerpaar erkannte die Chancen, die in der Sportmode gegeben waren. Es wurden modische Stoffkappen passend zur Wintersportbekleidung entworfen und genäht. Durch den Beitritt zum Skipool wurde das Unternehmen zum Ausrüster des so erfolgreichen österreichischen Skiteams, was zu einem regelrechten Boom führte. Ein sehr erfolgreicher Wirtschaftszweig wurde das individuelle Besticken von Mützen und Hüten. Jeder Kunde konnte sein Firmenlogo oder einen werbewirksamen Schriftzug auf seine Hüte und Mützen aufsticken lassen. Ein neuer und international klingender Produktname wurde gesucht und gefunden: „Capo Hat & Cap“.
Weil das Tragen von Hüten sowohl bei den Damen als auch bei den Männern aus der Mode kam, mussten die Modistengeschäfte nach und nach schließen. Es mussten neue Absatzmärkte gefunden werden. Auf internationalen Messen wie München, Düsseldorf, Zürich, Bern, Paris, Salzburg und in Übersee wurden Mode- und Sportgeschäfte angesprochen und damit der Verkauf gefördert. In Egg, Dornbirn, Feldkirch und Wien wurden betriebseigene Kleinverkäufe eröffnet. Qualität, Verlässlichkeit, Flexibilität und Auftragstreue wurden zu unverzichtbaren Stärken. Die Geschäftsleitung brachte durch die Modernisierung des Maschinenparks und der Arbeitsplätze den Betrieb immer wieder auf den neuesten Stand der Technik. Das Betriebsklima war sehr gut. Betriebsfeiern und gemeinsame Ausflüge schweißten Unternehmensführung und Mitarbeiter im Betrieb, in der Heimarbeit und im Außendienst zusammen.
Bis Ende der 1980er Jahre hatten über 100 Beschäftigte Arbeit und ein gutes Einkommen. Davon profitierte ihre Familien, aber auch die ganze Region. Das Glück war leider nicht von langer Dauer. Hüte kamen aus der Mode. Stoffmützen für die Skibekleidung wurden durch den Helm verdrängt. Ende der 1980er und Anfang der 90er Jahre erlebte das Unternehmen kritische Zeiten. Die Geschäfte in Übersee, vor allem in Amerika und Nigeria, brachten finanzielle Verluste. Diesen Einbruch konnte der europäische Markt nicht wettmachen. Der Betrieb musste in kurzer Zeit an verschiedene Unternehmen veräußert werden. Um möglichst viele Arbeitsplätze im Ort zu halten, wurde von der Gemeinde Egg ein neues Betriebsgebäude zur Verfügung gestellt, aber leider umsonst. Die wertvollen Arbeitsplätze gingen nach mehreren Geschäftsübernahmen trotzdem verloren.
Die Idee und der große persönliche Einsatz von Kaspar Kohler „Klörlar“ hat Jahrzehnte erfolgreich überlebt und so sind Initiativen, die auch in die Tat umgesetzt werden von unschätzbarem Wert. Ihm hat eine ganze Region viel zu verdanken.
Hanni