Falter: „Wir müssen eine neue Bescheidenheit lernen“

Diesen Bericht fanden wir in der österr. Wochenzeitung „FALTER“ – erstellt von Barbara Tòth

 

 

Der Politiker Karel Schwarzenberg denkt jenseits nationaler Kategorien. Wie ordnet er die Corona-Krise ein?

 

Niemandem fällt es leicht, nicht mehr das Land so einfach verlassen zu können. Aber für Karel Schwarzenberg, der sich nie alleine als Österreicher, Tscheche oder Schweizer definierte, ist es besonders traurig. Er ist es gewöhnt, wöchentlich zwischen Wien und Prag zu pendeln, zu Ostern kam er nun für 14 Tage nach Wien, zurück in Prag erwarten ihn 14 Tage freiwillige Selbstisolation.

 

Falter: Herr Schwarzenberg, sind Sie schon in der sogenannten „neuen Normalität“ angekommen?

Karel Schwarzenberg: Ach, diese Floskel. Ich weiß nicht, was das heißen oder sein soll, deswegen kann ich schwer beurteilen, ob ich da angekommen bin. Mich erinnert der Begriff an die „Normalisierung“ in der damaligen kommunistischen Tschechoslowakei …

 

 

damit ist die Phase der Unterdrückung und Überwachung nach der Niederschlagung der Protestbewegung des Prager Frühlings im Jahr 1968 gemeint.

Schwarzenberg: Wenn die neue Normalität bedeutet, dass sich die Regierung hier die Vollmachten, die sie sich dank Coronavirus angeeignet hat, behalten will, dann wäre das sehr bedenklich. Regierungen haben es halt sehr gern, wenn sie Vollmachten bekommen. Und es gibt solche, die nie genug davon bekommen, auch in Europa. Der größte Meister darin ist der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán. Aber auch in Böhmen gibt es diese Tendenz.

 

 

Und in Österreich?

Schwarzenberg: Wir haben immer geglaubt, dass wir zu Westeuropa gehörten -was ich immer bezweifelt habe. Heute stellen wir fest, dass wir das westlichste Land in Osteuropa sind, also zu Mitteleuropa gehören. Wir fügen uns ein in einen Block mit Budapest, Belgrad, Prag.

 

 

Welche autoritären Entwicklungen beunruhigen Sie mehr, die in Ungarn oder die in Polen, gegen das die Europäische Union ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat?

Schwarzenberg: Bitte, das polnische Regime ist nicht mein cup of tea, wie die Engländer sagen. Weiß Gott nicht! Aber so, dass ein Verfahren gegen sie eingeleitet wird, das ist übertrieben. Vor allem, weil es in Ungarn im Prinzip viel ärger ist. Jarosław Kaczyński mag seine Fehler haben. Aber er hat sich nicht so bereichert wie Viktor Orbán, auch seine Umgebung nicht. Und es gibt in Polen – im Unterschied zu Ungarn – eine wirklich funktionierende Opposition und eine freie Presse. Warum wird es als ein Verbrechen gegen den Rechtsstaat betrachtet, wenn die Richter im selben Alter in Pension gehen wie alle üblichen Bürger? Das ist mir nicht voll einsichtig. Vor allem, weil ich ja selber in einem Land des ehemaligen Ostblocks lebe und weiß, wie stark die alte Generation der Richter von den Zuständen im Kommunismus beeinflusst war. Die Polen lässt man es jetzt also spüren. Die Ungarn -im Gegenteil. Vielleicht hängt das mit der kleinen Tatsache zusammen, dass viele ungarische Europaabgeordnete Teil der EVP sind und sie die stärkste Partei im europäischen Parlament ist. Die Polen hingegen gehören einem anderen Block an.

 

 

Hätte man gegen Ungarn schon längst ein EU-Verfahren einleiten müssen?

Schwarzenberg: Ja, natürlich. Nicht, dass ich begeistert vom Kaczyński-Regime wäre. Aber ich kenne die Kaczyński-Brüder seit den 1980er-Jahren. Ich halte sie nicht für potenzielle Diktatoren, weder den verstorbenen noch den lebenden.

 

 

Sie sagen, Polen ist keine Diktatur. Ist Ungarn schon eine?

Schwarzenberg: Schauen Sie sich das Ermächtigungsgesetz an, das sie jetzt beschlossen haben: Da ist schon alles vorbereitet. Ab jetzt kann wirklich im Rahmen des Gesetzes diktatorisch gewählt, regiert werden. Noch dazu unbeschränkt im Zeitraum.

 

 

Wenn Sie vergleichen, wie in Tschechien, Deutschland und Österreich die Corona-Krise von den Regierungen gemanagt wurde

Schwarzenberg: … das ist sehr vergleichbar. In Wirklichkeit hat man dasselbe Verfahren in Prag gewählt, kurz danach auch in Wien und dann in Deutschland.

 

 

Aber gibt es nicht große Unterschiede in der Art und Weise, wie Politiker zum Volk gesprochen haben?

Schwarzenberg: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ist eine Ausnahmeerscheinung. Aber Sebastian Kurz und Andrej Babiš haben sehr ähnlich gesprochen: Versetzen wir die Bevölkerung in Angst und Schrecken, führen wir harte Maßnahmen am Anfang ein, was ja auch nicht schlecht war. Was wir davon behalten können, werden wir versuchen, zu behalten.

 

 

Warum klang es bei uns mehr nach „Gehorsam durch Angst“ und in Deutschland und Schweden mehr nach Eigenverantwortung und Hausverstand?

Schwarzenberg: Das ist nun einmal Mitteleuropa. Wir haben eine gewisse Untertanenmentalität. In Osteuropa hat es weder Reformation noch Renaissance gegeben, auch keine bürgerliche Revolution. Die Reformen in Mitteleuropa wurden von aufgeklärten Herrschern von oben durchgeführt, ob es Maria Theresia oder Joseph II. waren. In Westeuropa wurden Reformen von unten mehr oder minder revolutionär durchgesetzt. Das ist der große Unterschied. Wir in Mitteleuropa warten immer auf den aufgeklärten Herrscher, der uns führen wird. Wir haben lange Zeit auch oft Glück damit gehabt. Das hat uns leider dazu erzogen, weniger selber Aufstände zu probieren, sondern zu warten, bis der aufgeklärte Herrscher gnädigst uns reformieren wird. Das geht bis ins 20. Jahrhundert. Bekanntermaßen.

 

 

Ex-SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky war auch ein wohlwollender Patriarch.

Schwarzenberg: No und wie! Wir haben ihn alle geschätzt, aber auch er brachte Reformen von oben, umgesetzt von seinem Justizminister Christian Broda.

 

 

Und Kanzler Sebastian Kurz?

Schwarzenberg: Ein Herrscher ist er. Ich bin nur nicht so sicher, wie aufgeklärt.

 

 

Jetzt hat die ÖVP in Umfragen 48 Prozent.

Schwarzenberg: Aber diese 48 Prozent hat Bundeskanzler Kurz -nicht die ÖVP. Ich frage mich sogar, was aus der ÖVP wird. Denn sie hat sich des christlich-sozialen Inhalts in den letzten Jahren ziemlich entledigt. Kurz hat sie auf 48 Prozent geführt, aber er hat sie auch entkernt. Als Liberale sind die Neos authentischer. Die ÖVP profitiert ungeheuer von der starken Persönlichkeit des Bundeskanzlers und auch vom guten Team, das er um sich geschaffen hat. Aber in dem Moment, wo er gestürzt wird, eine Wahl verliert, wie einst ÖVP-Chef Karl Schleinzer tragisch verunglückt -was bleibt von der ÖVP? Eine Partei ohne eine tragende Idee, ohne Ideale ist zum Tode verurteilt.

 

 

Hat die Sozialdemokratie jetzt wieder mehr Berechtigung? Nach dieser Krise?

Schwarzenberg: Ich bin der wirklich tiefen Überzeugung, dass in jeder Demokratie eine linksliberale Partei und eine konservativchristliche eine Berechtigung haben. Das bedeutet aber nicht, dass ich sie sozusagen als Konserve herhalten kann. Die Sozialdemokratie hat, dadurch, dass sie doch sehr lange in Österreich dominiert hat, einen Ideenverlust erlitten. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war unter Bundeskanzler Werner Faymann. Aber schauen Sie nach Frankreich, Italien, England. Die große, ehrwürdige deutsche Sozialdemokratie ist bei unter 20 Prozent gelandet. In Böhmen ist sie überhaupt unter zehn Prozent, was wirklich deprimierend ist.

 

Nein, die gesamte Sozialdemokratie in ganz Europa ist in einer tiefen Krise, was ich sehr bedenklich finde. Ich war nie selber Sozialdemokrat, aber ich habe diese Partei immer respektiert und für notwendig empfunden. Wenn sie nicht neue Ideen findet, ist es schwierig. Und in Österreich erlaubt sie sich immer noch Intrigen, das kann eine große Partei sich leisten, aber im Abstieg sollte sie es lieber vermeiden. Wenn man eine Parteiobfrau hat, die sympathisch ist, gut ausschaut, intelligent ist und 40 oder 50 Prozent der sozialdemokratischen Politiker damit beschäftigt sind, wie sie am schnellsten zu stürzen ist, dann ist das der Weg in den Untergang.

 

 

Die SPÖ fordert jetzt einen Sechs-Stunden-Tag.

Schwarzenberg: Ja, das ist ein Blödsinn.

 

 

Warum?

Schwarzenberg: Wenn s’das Geld dafür finden! Wir alle wissen, dass wir nach der Corona-Krise wirtschaftlich sehr viel schlechter dastehen werden. Dass wir wahrscheinlich auch Schulden aufgebürdet bekommen, mit denen wir nicht gerechnet haben. Ich fürchte, wir müssen uns gewisse angenehme Luxusgedanken kurz aus dem Kopf schlagen.

 

 

Gibt es für Sie irgendeine historische Analogie zur Corona-Phase?

Schwarzenberg: Nicht wirklich. Denn, um die Wahrheit zu sagen: Ja, es ist eine Pandemie, es gibt viele Tote, aber im Vergleich zu den Pestkranken in früheren Jahrhunderten oder der Spanischen Grippe im 20. Jahrhundert ist das noch immer keine große Tragödie. Der wirtschaftliche Rückschlag ist beträchtlich -aber wenn ich es mit dem Börsenkrach 1929 vergleiche, scheint es noch nicht so arg zu sein. Das Wichtigste ist: vernünftig bleiben und uns nicht in die Panik treiben lassen, weder in medizinischen noch in wirtschaftlichen Fragen.

 

 

Aber waren wir nicht schon in Panik?

Schwarzenberg: Ich glaube nicht wirklich. Ich glaube, um eine gewisse Durchsetzung der Maßnahmen zu erreichen, hat man Angst und Schrecken verbreitet, ohne noch wirklich selbst diese Angst zu haben. Es ist auch nicht so, dass die Leute wirklich panisch reagieren. Sie hatten und haben Angst. Es wurde auch gehörig Angst gemacht. Aber Panik ist doch etwas anderes.

 

 

Die Corona-Krise ist schwer einzuordnen, ihre Folgen erst recht. Was ist Ihre Prognose: Wie wird die Post-Corona-Gesellschaft aussehen?

Schwarzenberg: Das ist die große Frage, die ich mir stelle. Krisen können positive Wirkungen haben. Die Nachkriegszeit, die ich in Österreich miterlebt habe und auch in Deutschland, brachte ein großes Solidaritätsgefühl. Wenn uns das bleibt, wäre das sehr schön. Was mich sorgt, ist, ob wir uns wirklich an eine autoritärere Staatsführung in unseren Ländern gewöhnen. Weil von oben betrachtet: Die Regierungen können sich unglaublich viel leisten, ohne dass Widerstand geleistet wird. Und ich fürchte, manchen Politikern bleibt auch dies im Gedächtnis.

 

 

Aber glauben Sie wirklich, dass so ein radikaler Shutdown noch einmal funktionieren kann?

Schwarzenberg: Wenn die Arbeitslosigkeit dramatisch steigen wird, werden die Menschen andere Sorgen haben, als um demokratische Freiheiten zu kämpfen. Wir dürfen nicht vergessen: Wenn das alles zu Ende ist, werden wir alle sehr viel ärmer sein und sehr viele Menschen werden wirklich in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen. Da vergehen einem manche sonst lockenden Gedanken.

 

 

Jetzt ist ja viel von Wiederaufbau und dem Wiederhochfahren die Rede. Aber die Infrastruktur ist ja nicht zerstört.

Schwarzenberg: Im Unterschied zum Zweiten Weltkrieg.

 

 

Aber die Politik hat jetzt sehr viel Macht, sie hat die Möglichkeit zu entscheiden, wer gefördert wird, wer überleben darf. Ist das nicht auch eine große Gefahr?

Schwarzenberg: Natürlich! Da wird man sehen, ob Regierungen fähig sind, zukunftsfähig zu denken, oder nur versuchen, das zu retten, was vor der Krise war, auch wenn das eigentlich nicht mehr zu retten ist. Regierungen müssen harte Maßnahmen ergreifen und in das investieren, was Zukunft hat. Nicht versuchen, Industrien zu konservieren. Das wird sehr unpopulär und sehr mühsam sein.

 

 

Werden wir jemals wieder so offene Grenzen haben wie zuvor?

Schwarzenberg: Ich glaube, wir werden über die Grenzen fahren können und es wird wieder einen Tourismus geben. Aber die Selbstverständlichkeit, dass ich meinen Urlaub in der Karibik oder in Marrakesch verbringe, wird für viele Leute vorbei sein. Aber bitte sehr: Wir haben auch glücklich gelebt mit Sommerfrischen. Ist ja nicht so, dass man unbedingt in exotische Länder fahren muss. Das ist ja erst in den letzten Jahrzehnten populär geworden. Wie ich noch jung war, war das eine Ausnahme. Nach Ägypten? Das haben sich die reichsten Leute nur vergönnt. Wo waren wir da? In Bibione.

 

 

Also kommt das Gefühl der 1960er-Jahre zurück?

Schwarzenberg: Es würde uns allen miteinander nicht schaden, wenn wir eine neue Bescheidenheit lernen würden.

 

 

Werden wir uns am Ende des Jahres denken: Was war das eigentlich?

Schwarzenberg: Am Ende des Jahres werden wir denken: So Gott will, haben wir es gesund überlebt. Ganz offensichtlich werden wir weniger Geld haben. Also schrauben wir unsere Erwartungen zurück, fassen wir uns am Hosenbund und fangen ordentlich zu arbeiten an.

 

 

Karel Schwarzenberg, Jahrgang 1937, hat eine schillernde Karriere als Politiker hinter sich. Er war Außenminister Tschechiens und verlor die Wahl um das Amt des tschechischen Präsidenten nur knapp. In Österreich engagierte er sich zeitlebens für Menschenrechte und unterstützte die Dissidentenbewegungen in der Zeit des Kommunismus

Deine Meinung

  1. dem kann ich mir nur anschießen. zu viele kluge Leute kamen zu wenig oder nicht zu Wort bisher.