„Ein Virus im Dorf“ – Hugo Waldner berichtet (Bericht #9)
„Ein Virus hat unser aller Leben verändert. Die Maßnahmen, die zur Eindämmung der Ausbreitung getroffen wurden, bestimmen nun unseren Alltag. Jede Person macht ihre eigenen Erfahrungen – Erfahrungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
In Zusammenarbeit mit Georg Sutterlüty haben wir ein Projekt gestartet. Wir wollen wissen, wie Eggerinnen und Egger (sowie einzelne BregenzerwälderInnen umliegender Gemeinden) mit der Krise umgehen: Was hat sich in ihrem Leben verändert, welche Herausforderungen gibt es und was erhoffen sie sich nach Beendigung dieser schwierigen Phase? Wir haben ganz kunterbunt nach Personen gesucht, die bereit sind, ihre persönliche Geschichte zu schildern. Wir beginnen mit dem ersten Bericht und wollen jeden zweiten Tag den nächsten veröffentlichen.
Bereits veröffentliche Berichte werden von uns ins Archiv verschoben, sind aber weiterhin hier für euch verlinkt:
Bericht 8: Magdalena Vögel (36), Personalentwicklerin und Mama, Schwarzenberg
Bericht 7: Samuel Schwärzler (27), und Vize-Obmann des FC Egg, Rain
Bericht 6: Friedl Kaufmann, Pfarrer von Egg und Großdorf
Bericht 5: Jürgen Zengerle (29), Krankenpfleger in KH Dornbirn, Hof
Bericht 4: Lisa Schmidinger (28 Jahre), Krankenpflegerin, Wohnort Schmarütte
Bericht 3: Wilhelm Sutterlüty (63), Geschäftsführer Sozialzentrum Egg, Schmarütte
Bericht 2: Marcel Simma , Schüler der HTL Dornbirn, Stadel
Bericht 1: Brigitte Bereuter (40), Gemeindeangestellte, Mutter und Hausfrau, Rain
Kommentare sind erwünscht, doch bitten wir aus Rücksicht auf die Autoren, den vollen Namen sowie den Weiler, in dem ihr wohnt, anzugeben.“
Bericht 9: Hugo Waldner – Es sollte uns aufwecken …
Wenn wir (auch die ältere Generation) nicht annähernd von einer Infektionskrankheit ähnlichen Ausmaßes wissen, so wissen wir aber als Egger, dass in unserer Gemeinde eine Gedenkstätte steht, nämlich am Elias Prügel. Diese erinnert daran, dass unsere Gemeinde einmal von einer großen Infektionskrankheit, nämlich der Pest heimgesucht wurde – und dass die Leute damals dieser Geisel nahezu ohne jede medizinische, staatliche und hygienische Hilfe und Unterstützung hilflos ausgeliefert waren. Es gab auch kein Funk- oder Telefonnetz, über das sich die betroffenen und in Isolation lebenden Menschen mit ihren Angehörigen und mit der Außenwelt in Verbindung treten konnten.
Damit will ich nicht die Dramatik der derzeitigen Situation herunterspielen. Ganz und gar nicht. Aber darüber nachdenken, dass in der Geschichte die Menschen auch hierzulande manche schwere Zeit mitgemacht haben. Wenn ich über die jüngere (von mit selbst erlebte) Geschichte nachdenke, so weiß ich, dass Mitte der 1960er Jahre – es dürfte 1965 gewesen sein – einige Höfe in Egg und Großdorf völlig gesperrt waren und ihre Familien unter Quarantäne standen. Dies wegen der Maul- und Klauenseuche. Für drei Wochen durfte kein Hausbewohner den Hof verlassen. Auch berufstätige Kinder, die zu Hause wohnten, durften nicht mehr zur Arbeit. Die nicht isolierten Bauern im Dorf gingen sich freiwillig aus dem Weg. Zum Beispiel auf dem Weg in die Sennhäuser (die es damals noch gab).
Die Maul- und Klauenseuche bedeutete zwar nur für die Tiere eine Gefahr, doch war sie eine hochansteckende Krankheit, die auch durch Menschen verschleppt werden konnte. Darum wurden diese rigorosen Schutzmaßnahmen strengstens angeordnet. Die Menschen wurden zwar nicht infiziert, das Virus konnte sich aber an den Kleidern und vor allem an den Schuhen festsetzen. Deshalb mussten auch vor den Haus- und Stalleingängen sogenannte Schleusenteppiche (ein mit Desinfektionsmitteln getränkter Teppich aus Sägemehl) angelegt werden.
Nach diesem Rückblick in die Vergangenheit möchte ich eine bescheidene Replik auf die Gegenwart richten. Was mich in der derzeitigen Situation am meisten bewegt, ist die Tatsache, dass ein so winzig kleines Wesen, das nur mit einem Spezialmikroskop gesichtet werden kann, eine derart (scheinbar) starke und wohlgeordnete westliche Welt binnen weniger Tagen völlig durcheinanderbringt. Die größten Machthaber in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind einem derart winzigen Wesen hilflos ausgeliefert.
Es weckt uns aber auch auf bzw. sollte uns aufwecken und daran erinnern, dass wir in einer Situation und einer Zeit leben, in der täglich weltweit (und auch bei uns) Tier- und Pflanzenarten dahinsterben, weil wir unsere Natur und unsere Welt als unser alleiniges Eigentum betrachten. Wir bedenken nicht, dass wir unsere Welt nur als Leihgabe verwalten und diese geschont und nicht ruiniert weitergeben sollten.
Für mich bleibt als eine der Hoffnungen aus dieser Situation, dass die Menschen begreifen lernen, dass auch der Natur und ihren Bewohnern noch ein Stücklein Erde gehören sollte, welches der Mensch nicht in Anspruch nehmen darf – weder zu seinem Vergnügen, noch zu seinem wirtschaftlichen Nutzen.
Hugo Waldner (72), Bauer und Alt-Vizebürgermeister, Freien
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Corona - ein Virus im Dorf
Hoffen wir, dass wir uns alle wieder zurück besinnen.
Weniger ist oft mehr!