Sind es die Alten noch wert, vor dem Virus geschützt zu werden?

Hallo Egg-Newser: diesen Artikel fanden wir in der TZ „Die Presse“ – es ist unglaublich, was hier geboten wird und als Artikel-Koordinator habe ich eine Gänsehaut, diesen hier bereit zu stellen. Gemacht habe ich es trotzdem – bin selber 60+

 

Covid-19 übernimmt jetzt die „Ahnlvertilgung“, die früher einmal händisch erledigt wurde. Es soll Leute geben, die das sogar für einen Fortschritt halten.

 

Von Felsen stürzen, in der Wildnis aussetzen, verhungern lassen, vergiften, erhängen, begraben, verbrennen, ersticken, mit Knüppeln erschlagen. Ethnologen und Historiker wissen von zahlreichen Methoden, die Menschen anwendeten, um sich ihrer Eltern zu entledigen, wenn sich deren Nutzen für die Familie und die Gesellschaft erschöpft hatte. Einen guten Überblick bietet Raimund Pousset „Senizid und Altentötung“, Heidelberg 2018. Der Untertitel des Buches lautet: „Ein überfälliger Diskurs“. Pousset weist darauf hin, dass die Tötungen bona fide erfolgten, im Bewusstsein, aus ökonomischen, meist religiös verbrämten Gründen eine traurige Pflicht zu erfüllen. Oft gingen ihnen rituelle Trinkgelage voraus, um aufkommendes Mitleid zu betäuben.

 

In der modernen Gesellschaft ist die „Ahnlvertilgung“ (Helmut Qualtinger) eine Straftat. Die vier „Todesengel von Lainz“, die in den 1980er-Jahren Dutzende Pflege-Insassen ermordeten, wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. Unser sozialstaatlich organisiertes Gemeinwesen versorgt die Alten mit Renten und Pensionen, Senioren- und Pflegeheime entlasten die Familien.

 

Die gesellschaftlichen Kosten sind jetzt schon hoch und wachsen mit der steigenden Lebenserwartung. Sie werden in Kauf genommen, weil dieses System als zwar nicht befriedigende, aber letztlich (noch) akzeptable Lösung gilt. Es ist unbestritten, dass die Berufstätigen heute erheblich höhere Lasten zu tragen haben als ihre während des Krieges oder nach 1945 geborenen Eltern und Großeltern. Um Generationengerechtigkeit walten zu lassen, wären radikale Reformen erforderlich, aber sie kommen nicht zustande, weil sie aus Rücksicht auf die Boomer im Ruhestand von Regierung zu Regierung weitergeschoben werden.

 

Jetzt aber hat die Corona-Pandemie den seit Langem schwelenden Konflikt zwischen den Generationen aktualisiert. Auf Twitter lässt er sich unter dem Hashtag | BoomerRemover verfolgen. Da herrscht große Freude, dass das Virus eine Arbeit erledigt, die in den Seniziden Jahrtausende lang in Handarbeit verrichtet wurde. Das hat schon was: Eine Generation, die einst mit dem Slogan „Trau keinem über 30“ gefahrlos gegen ihre Väter und Großväter rebelliert hatte, ist selbst zur Zielscheibe des generationellen Hasses geworden. Es ist die Generation, die als erste die Familie abschaffen wollte, die die Abtreibung für ein Recht und die Sterbehilfe für einen akzeptablen „stillen Senizid“ hält. Vielleicht hatte Kardinal Christoph Schönborn auch das im Sinn, als er sagte, dass „Gott durch Krisen bei uns anklopft und uns zum Nachdenken einlädt“.

 

Möglicherweise aber ist die Diskussion über das Alter der Seuchenopfer schon nicht mehr aktuell. Am Montag brachte der „Corriere della Sera“ ein Interview mit Antonio Pesenti, dem Koordinator für Intensivtherapien in der Krisenregion Lombardei. Er stelle fest, sagte Pesenti, dass die Zahl der 40- bis 50-Jährigen unter den Covid- 19-Patienten zunehme: „Es ist, als ob das Virus sich in einer ersten Phase die Schwächsten ausgesucht hätte.“ Boris Johnson ist übrigens erst 55.

 

Eine weitere Nachricht sollte jene interessieren, die Covid-19 immer noch für nicht wesentlich gefährlicher halten als eine saisonale Grippe. Gezählt wurden die Todesfälle, die lombardische Gemeinden jeweils in den ersten drei Märzwochen 2020 und 2019 registrierten. In Bergamo waren das 446 in diesem Jahr gegenüber 98 im Vergleichszeitraum des Vorjahres, in Alzano 62 (9), in Nembro 110 (14), in Caravaggio 50 (6), in Dalmine 70 (18).

 

Es bringt nichts, Wirtschaft gegen Gesundheit auszuspielen. Österreich tut gut daran, im Interesse der Menschen wie der Unternehmen rasch, aber mit großer Vorsicht zur Phase zwei der Bekämpfung der Seuche überzugehen. Wir sind in einer besseren Lage als unsere Nachbarn. Aber wir wissen auch, dass das Virus gnadenlos jede Lücke nützen wird.

 

E-Mails an: debatte@diepresse.com Jetzt aber hat die Corona-Pandemie den seit Langem schwelenden Konflikt zwischen den Generationen aktualisiert.

 

Zum Autor:

Karl-Peter Schwarz war langjähriger Auslandskorrespondent der „Presse“ und der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ in Mittel- und Südosteuropa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor (kairos.blog).

 

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  1. Ich gebe zu, die Überschrift ist plakativ und mag den ein oder anderen den Verstand verlieren lassen. Ich glaube aber, dass wir in unserer heutigen Gesellschaft über alles offen reden können - auch über dieses Thema. Man soll immer eine Meinung haben. Wenn man diese Kund tut, sollte man diese auch sachlich begründen können und sich auf den Inhalt des Artikels (nicht nur die Überschrift) beziehen und vor allem den Publizisten nicht persönlich angreifen.

    In der Rhetorik gilt es allgemein als schwach, wenn man den Publizisten und nicht den Inhalt kritisiert. Es symbolisiert, dass man keine schlagkräftigen Argumente mehr hat.

    Ich lese sehr viele Artikel - in Qualitätszeitungen und im Boulevard. Überall sind Überschriften plakativ - sie sollen schließlich zum Lesen anregen (lernt man in der Volksschule). Am Ende des Artikels geht es allerdings nur um den Inhalt und nicht um die Überschrift.
  2. @ @Egger:
    das ist keine "Einschätzung" von mir sondern ein Faktum. Jemanden dem man Clickbait unterstellt schätzt man nicht. Außer man hat eine gespaltene Persönlichkeit.
  3. Eine Rückmeldung geben ohne zu wissen auf was - genau das ist das Problem unserer heutigen Gesellschaft.

    Wälder, an deinem Beispiel sieht man sehr gut die heutige Empörungskultur (bzw. Unkultur): Ohne sich die Zeit zu nehmen, etwas genauer anzuschauen oder zu hinterfragen nimmt man es sich heraus, das ganze zu kommentieren, da wird gleich laut drauflosgebrüllt - (am besten ohne mit dem eigenen namen dafür geradezustehen)
  4. Ob ich Richard schätze oder nicht wirst du trotzdem nicht beurteilen können, da liegst Du übrigens mit deiner "Einschätzung" falsch und ich glaube wegen einer anderen Meinung läßt sich Richard nicht entmutigen.
  5. Nein, Wälder, du schätzt Richard nicht. Sonst würdest du ihm nicht unterstellen, er würde wegen ein paar Klicks einen Bericht reinstellen.
    Ich finde die Auswahl der Berichte sehr gut. Eine gewisse Bandbreite dürfen und sollen sie haben - zumal der Bericht aus der Presse stammt und nicht von irgendeiner dubiosen Seite. Ausserdem hat Richard eingangs auf die Brisanz des Artikels hingewiesen, was du vermutlich auch nicht gelesen hast.
    Wenn du Mainstream - Boulevard lesen möchtest, kannst auf vol.at wechseln, anstatt hier zu motzen.
    Richard, lass dich bitte nicht entmutigen.
  6. Nochmal Richard, schätze dich, und Danke für Deine Berichte die Du sonst veröffentlichst, aber das brauche ich nicht, oder wer braucht so eine Schlagzeile? Wohl jeder der vor dem Alter, auch mit dem Geleisteten.... Aber breche ab, jedem das Seine...
  7. Hallo "Wälder":

    Offensichtlich ist es die Überschrift, die dich deinen Kommentar hat schreiben lassen.

    Die Zeit für einige Zeilen hast du dir genommen, den Artikel zu lesen, leider nicht - schade.

    Im Übrigen kann ich gut verstehen, wenn jemand mit diesem Bericht Probleme hat. Ein guter Freund meinte zu dieser Veröffentlichung, dass wir glauben, in einer tabulosen Zeit zu leben - was natürlich nicht stimmt und dass der Tod nach wie vor ein Tabuthema in unserer Gesellschaft ist.

    Aufgrund der Corona-Krise stellen wir momentan vermehrt Zeitungsberichte auf egg-news. Wir bemühen uns sehr, verschiedenste Berichte zu „bringen“, damit sich der Newser seine Meinung dazu bilden kann. Dass man hier unterschiedlicher Meinung sein kann, ist eine logische Folge dieser „Berichts-Breite“.

    Werter „Wälder“, dass du deine Meinung kund getan hast, ist trotzdem sehr positiv, da dies ganz sicher die eine oder andere Diskussion in derzeit leider nur kleinem Kreis veranlasst.
  8. Genau erkannt! Alleine der Titel ist schon, gelinde gesagt eine Frechheit,... und somit Artikel nicht lesenswert! Außer im "Großhirn" eines Individiums ist ein Ansatz von "was könnte daran interessant sein!?".
  9. @Wälder: Du kritisierst die Veröffentlichung eines Artikels aus der "Presse", ohne diesen "ansatzweisen gelesen" zu haben???
  10. Hallo Richard, nix für ungut, schätze dich sonst sehr, aber ohne nur Ansatzweise den Bericht zu lesen, verstehe ich Dein "Tun" hier nicht!? Wegen ein paar Zugriffen kann es das nicht sein. Tut mir leid.